Vernissage "Papierschwalben" Eröffnungsrede von Judith Neumann

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde!

 

 

Dies ist nun schon die dritte Vernissage von Annette Burrer, die ich miteröffnen darf:

 

Nach der Ausstellung zum Thema „Warten“ (2011 im Wiehre Bahnhof) und der gemeinsamen Ausstellung mit Susanne Dilger im Weingut Dilger 2015, bei der „Stühle“ im Mittelpunkt standen, nun also Papierflieger – ein etwas dynamischeres Thema . Daneben Landschaften und v.a. Radierungen – eine Technik, mit der sich Annette seit einiger Zeit verstärkt beschäftigt.

 

Wie die meisten hier Anwesenden bereits wissen, lebt und arbeitet Annette Burrer in Freiburg und ist in Basel als Sozialpädagogin tätig.
Erste Zeichenkurse belegte Annette bereits 1991/92, 2004-09 folgten dann Malkurse am Kunstkolleg der VHS Freiburg. Daneben besuchte Annette immer wieder Malkurse an der europäischen Kunstakademie Trier und vertiefte ihre zeichnerische Ausbildung.
Seit 2013 ist Annette Mitglied im
AK Kunst Vauban e. V., nutzt dort das Atelier und nimmt regelmäßig an den Ausstellungswochenende teil.

 

Annette Burrer arbeitet gerne in Serien, die die Möglichkeit bieten, ein bestimmtes Thema in allen möglichen Facetten durchzuspielen – zum Teil über Jahre hinweg. So stand beim Abschlussprojekt des Kunstkollegs der VHS Freiburg das Thema „Warten“ im Mittelpunkt von Annettes Interesse – über Jahre entstand eine Vielzahl von Bildern zu diesem Thema.

 

Malerei und Zeichnung nutzt Annette dabei als gleichwertige Techniken. In jüngerer Zeit kommen auch Radierungen hinzu – eine Technik, die noch relativ neu ist für Annette, und an der sie nicht nur das Handwerkliche interessiert, sondern v.a. auch die druckgraphischen Gestaltungsmöglichkeiten (und Schwierigkeiten!!), die sich aus dem Medium der Radierung ergeben.

 

Annette Burrer ist viel in der Natur unterwegs und nutzt diese Ausflüge, um vor Ort zu skizzieren. Diese Skizzen werden dann im Atelier in Malerei umgesetzt – so entstehen die meisten der Landschaftsgemälde, die vornehmlich den Schwarzwald und die Umgebung Freiburgs zeigen und von denen hier eine kleinere Auswahl zu sehen ist.

 

 

Im Zentrum dieser Ausstellung stehen jedoch die „Papierschwalben“ – als großformatige Einzelgemälde und kleinere, in Gruppen gehängte Bilder, aber auch als Radierungen. Einzelne, vor blauem Grund durchs Bild zischende Schwalben sind ebenso zu sehen wie in Gruppen vorbeischwirrende Schwalbengruppen oder ganze Schwärme auf den Radierunge

 

Wie kommt nun jemand dazu, ausgerechnet Papierschwalben zu malen? (Wohlgemerkt: Schwalben, nicht etwa banale Papierflieger)?

 

Annette erzählte mir, dass sie schon als Kind davon träumte, auf einen Turm steigen und sich in einen Papierflieger zu verwandeln, der von dort oben schwerelos zu Boden schwebt.

Daraus ist dann leider nichts geworden – es blieb beim gemeinsamen Fliegerfalten mit den Schwestern, und die Flieger wurden bestenfalls aus dem Kinderzimmerfenster im 1. Stock des elterlichen Hofes geworfen.

 

Was aber da geworfen wurde, waren eben nicht schlichte Papierflieger, sondern kunstvoll gefaltete Papierschwalben, die - perfekt gefaltet und an den richtigen Stellen mit Rissen versehen – nicht nur wunderbar schwebten und dahinglitten, sondern sogar Loopings drehen konnten (eine Kunst, die der Vater den Schwestern vermittelte).

 

Gar nicht einfach, so etwas zu falten und eigentlich auch ein etwas untypisches Hobby für die Mädchen, die damit sicher im Ansehen der männlichen Schulkameraden eine deutliche Stufe höher stiegen...

 

Nachdem Annette die Schwalben-Falterei dann eine Weile aus den Augen verloren hatte, lebte sie als Studentin in einer WG im 7. Stock. Und so kam es, wie es kommen musste und irgendwann fand sich die gesammelte WG Papierschwalben faltend auf dem Balkon wieder und bald schwebten die ersten Schwalben den Spaziergängern vor die Füße.

 

Was interessierte nun aber Annette daran, das Schwalben-Thema künstlerisch umzusetzen und sich so ausgiebig damit zu befassen, dass schließlich eine ganze Serie an Bildern daraus wurde?

 

Zunächst, so Annette, war es die Faszination zu sehen, wie aus einem schnöden Blatt Papier eine schwerelos schwebende Schwalbe wird.

 

Diese Schwerelosigkeit, das Gefühl der Freiheit, das sich einstellen mag, wenn man selbst sich vorstellt, wie eine dieser Schwalben durch die Luft zu gleiten, hat Annette Burrer, gerade in den großformatigen Bildern , wunderbar eingefangen. Wie aus dem Nichts kommen die Flieger ins Bild gezischt und gleiten an der anderen Seite wieder hinaus ins endlose Blau. Die Tatsache, dass die Bilder keine Rahmen haben verstärkt dabei das Gefühl, dass sich das Blau nach allen Seiten hin endlos fortsetzt und es entsteht so ein Gefühl von Unendlichkeit

 

Auch das Spielerische, das dem Thema innewohnt, hat Annette begeistert. In den Bilder hat sie die verschiedensten Formationen variiert, mit Verdichtung und Auflösung gespielt, mit auf den Betrachter zufliegenden und von ihm wegfliegenden Papierfliegern. Wie bei einem Spiel gibt es hier eine schier unendliche Möglichkeiten an Kombinationen!

 

Und nicht zuletzt lassen die Papierschwalben dem Betrachter Spielraum und Freiheit beim Entdecken der Bilder. Hier geht es nicht darum herauszufinden, was das Bild uns sagen will oder eine vermeintlich „richtige“ Interpretation zu finden. Vielmehr kann jeder Betrachter, wie die Malerin selbst, eigene Assoziationen zu den Bildern haben und diesen nachspüren.

 

Der eine mag sich an seine Kindheit und eigene Faltversuche (oder gar Flugversuche?!) erinnert fühlen.

 

Ein Nächster erfreut sich an den verschiedenen Kompositions- und Gestaltungsmöglichkeiten, die das Thema birgt oder an der Ruhe, die aus den großformatigen, farblich auf weiß und blau beschränkten Bildern spricht. Und viele Betrachter erfreuen sich vermutlich an der Schwerelosigkeit, mit der die Schwalben durchs Bild gleiten.

 

Die Gunst (Kunst?) des Scheiterns

 

Bis aber eine Papierschwalbe so schwerelos schwebt wie in Annettes Bildern dargestellt, sind viele Faltversuche misslungen, haben viele Abstürze und Fehllandungen stattgefunden und sind vermutlich viele Blatt Papier wütend zerknüllt worden. Das Scheitern ist beim Schwalben-Falten vorprogrammiert! Doch davon ist in Annettes Gemälden nichts mehr zu spüren…

 

Und auch den Radierungen, die hier ausgestellt sind, ist nicht unbedingt das Ringen und immer wieder erneute Scheitern anzusehen, das Annette hinter sich hatte, bis sie zu den Ergebnissen kam, die Sie hier sehen. Radierung und Aquatinta sind technisch anspruchsvolle graphische Verfahren, bei denen im Laufe des Schaffensprozesses viel Unerwartetes passieren und einiges schieflaufen kann!

 

Auch Annette Burrer, die in einer Druckwerkstatt in Basel die Technik erlernt hat und immer noch weiter perfektioniert, musste bei den ersten Ätz- und Druckversuchen feststellen, dass trotz großer Mühen mit dem Lithostift und gestuften Ätzungen, das Ergebnis nicht das gewünschte war.

 

Nach der ersten Enttäuschung über die vermeintlich misslungenen Druckergebnisse stellte Annette jedoch fest, dass auf den Drucken zwar vielleicht nicht das zu sehen war, was sie sich erhofft hatte … dafür aber vieles andere, das auch sehr spannend war und unterschiedlichste Deutungen für den Betrachter/die Betrachterin offen ließ. Und so begann Annette, die „missratenen“ Radierungen weiterzubearbeiten, Gegenstände und Figuren hineinzumalen und den Radierungen so einen jeweils anderen Inhalt zu geben. Aus dem Scheitern war Spiel geworden… Die wirklich originellen Ergebnisse dieses Scheiterns ergab eine kleine Serie an Radierungen, die Sie nur heute hier sehen können, da sie Ende März bei einer Ausstellung in Basel gezeigt werden

 

Als Annette einige Zeit später an einer Radierung arbeitete, die einen auf den Betrachter zuschwirrenden Papierfliegerschwarm zweigen sollte, war sie zunächst frustiert – wieder nicht das erhoffte Ergebnis nach dem Druck! Also wieder Experimente und weitere Versuche mit unterschiedlichen Druckplatten, Asphaltlack und Ätzflüssigkeit. Und mit der Zeit die Erkenntnis, dass zunächst unerwünschte Effekte sich auch bewusst erzeugen lassen.

 

Annette Erkenntnis aus diesen Druckversuchen: Kreativität besteht oft darin, die Gunst des Fehlers zu erkennen! Die Kunst ist nicht, auf Anhieb das Richtige zu tun!

 

Die Kunst ist, Fehler zu machen, aber nicht die Flinte ins Korn zu werfen, sondern, wenn etwas schiefgeht, die Chance zu ergreifen, die Sichtweise zu verändern und die neuen Möglichkeiten zu erkennen, die sich aus dem Scheitern ergeben. Wie beim Papierschwalbenfalten … und wie im täglichen Leben

 

 

© Judith Neumann